100. Auktion

15.11.2019

Lot 43

DER EINZIG BEKANNTE, DREI MELODIEN SPIELENDE SINGVOGELKÄFIG MIT VOGEL-, BRUNNEN- UND SCHMETTERLINGSAUTOMAT
Bautte & Moynier / Jean-David Maillardet / Courvoisier & Cie. / Charles-Frédéric Nardin, Schweiz, 410 x 215 mm, Gesamthöhe und -breite 460 x 320 mm, begonnen circa 1820 und fertiggestellt circa 1830
Musealer, außergewöhnlich feiner Singvogelkäfigautomat mit zwei singenden, hin und her springenden Vögeln, animiertem Wasserfall und flatterndem Schmetterling, Uhrwerk und phantastisch aufspielendem Musikspielwerk mit drei Melodien, stündlich auslösend sowie auf Anforderung
Geh.: vergoldete Bronze, punziert und graviert, Glas. Ziffbl.: versilbert, signiert, röm. Stunden, gebläute Breguet-Zeiger. Werk: Rechteckformwerk, Kette/Schnecke, Spindelhemmung, dreiarmige Messingunruh. Musikspielwerk: schweres Messingwerk mit Kette/Schnecke, Stiftenwalze und Vibrationsblätter, signiert Charles-Frédéric Nardin. Automatenwerk: Rechteckformwerk, Messing, Stahl, Federhaus, Kette/Schnecke, rechteckiger Blasebalg, Kolbenpfeife.
Dieses atemberaubende Kunstwerk vereint höchste Schweizer Handwerkskunst; sein beeindruckendes Erscheinungsbild kombiniert exquisites Design mit fortschrittlicher Uhrmacherkunst: In einem üppig verzierten Käfig springen zwei entzückend zwitschernde Singvögel mit flatternden Flügeln von einem Sitzplatz zum anderen, ein Schmetterling schlägt seine handbemalten, schillernden Flügel über einem belebten Brunnen, während dazu eine Melodie ertönt und die Zeit angezeigt wird.
Das Gehäuse besteht aus drei Teilen: der Plinthe mit Hebeln zum Einstellen und Aktivieren des Automaten und der Musik, dem Sockel mit Uhrwerk und Musikspielwerk und dem Singvogelkäfig mit Automat.
Die Plinthe:
Oval, vergoldet (330 x 230 mm), Rille für einen vorgesehenen Glassturz. Rechts befinden sich vier Hebel für folgenden Funktionen: "Silence" (Hebel nach rechts, unterbindet das Auslösen der Musik, nach links zum automatischen Auslösen der Musik zu jeder Stunde) - "Musique" (zum Auslösen der Musik auf Abruf) - "Meme/Autre" (zum Wiederholen der gleichen Melodie, oder zur nächsten Melodie zu wechseln) - "Musique d'Oiseaux" (zum Aktivieren der Singvögelautomaten, des Schmetterlings und des Wasserlaufs). Die Hebel sind mittels Gestänge mit den Steuerhebeln verbunden, die den Mechanismus der Musik und der Automaten auslösen.
Der Sockel mit Uhrwerk und Musikspielwerk:
Auf vier gedrückten, reich gravierten Kugelfüßen erhebt sich der rechteckige Sockel aus vergoldeter Bronze. Auf der Vorderseite befindet sich zentral das versilberte Zifferblatt mit der Signatur von Bautte & Moynier. Es ist ausgestattet mit römischen Ziffern und gebläuten Breguet-Zeigern, das Zentrum ist in Blütenform guillochiert. Flankiert wird das Zifferblatt von applizierten Musiktrophäen. Weitere Applikationen in Vasen und Sternenform befinden sich an den zwei Seiten und auf der Rückseite, deweiteren eine Bordüre aus Blättern und Perlen.
Das Uhrwerk:
Das Uhrwerk löst das Musikspielwerk stündlich aus und stammt vermutlich aus der Werkstatt von Courvoisier et Cie, La Chaux-de-Fonds (tätig zwischen 1811 und 1845).
Das Musikspielwerk:
Das von Charles-Frédéric Nardin signierte Musikspielwerk wird zur vollen Stunde oder nach Anforderung aktiviert. Es stehen drei verschiedene Melodien zur Auswahl, alle über eine Stiftenwalze abrufbar. Unter den drei Melodien wurde "Der Jägerchor" aus der Freischützoper von Carl Maria von Weber (1786-1826) identifiziert.
Singvogelkäfig:
Rechteckiger Kuppelkäfig aus vergoldeter Bronze auf einem rechteckigen Sockel mit abgeschrägten Ecken und Klauenfüßen. Die Sockelfront und die -rückseite ist verziert mit einem aufgesetzten Blatt- und Blütenrelief aus Rosen, die Seiten mit Lorbeer. Darauf das Ziergitter aus Balustern, Ovalen, Dreiecken und Kreisen, eingefasst von vier Ecksäulen, die den urnenverzierten Käfigaufsatz mit der durchbrochenen Kuppel tragen. Diese besteht aus geschwungenen Stäben, Akanthus und C-Voluten und ist verziert mit einer Lyrenbalustrade und einer Urne als Bekrönung.
Der Automat:
Der Automat besteht aus zwei Singvögeln mit bunt schillerndem Kolibri-Gefieder und einem Schmetterling mit handbemalten, schillernden Flügeln an einem Brunnen. Wenn das Werk aufgezogen ist und der Schieber zum Starten des Automaten betätigt wurde, bewegen sich die Vögel zwitschernd und mit flatternden Flügeln und Schwanz hin und her. Ihre Schnäbel öffnen und schließen sich, während sie scheinbar von einem Sitzplatz zum anderen fliegen. In der Mitte befindet sich ein Brunnen mit bewegtem Wasserstrahl, der von sieben gewundenen, sich drehenden Glasstäben simuliert wird. Die Stäbe werden von einer vergoldeten Bronzeknospe bekrönt, auf der ein Schmetterling sitzt und seine Flügel über dem fließenden Wasser schlägt.
Das Automatenwerk befindet sich im Sockel des Käfigs. Der Mechanismus ist aus Messing und Stahl und ist ausgestattet mit Kette/Schnecke, Blasebalg und Kolbenpfeife. Ein Aufzugsvierkant befindet sich im rechten Seitenpaneel des Sockels. In zwei der vier Säulen des Käfigs befinden sich die Bewegungsmechanismen der Singvögel. Innerhalb dieser Mechanismen befindet sich eine große Nocke, die die Hebel auf drei verschiedenen Achsen betätigt; auf seiner Welle sind verschiedene kleine funktionale Nocken montiert. Die Platinen enthalten einen großen rechteckigen Blasebalg, an dessen Ende eine Kolbenpfeife angebracht ist, der es ermöglicht den Vogelgesang so naturgetreu wie möglich nachzuahmen, in diesem Fall den Gesang des Kanarienvogels und der Nachtigall. Dieser Mechanismus ist auf Jean-David Maillardet (1748-1834) aus La Chaux-de-Fonds zurückzuführen.
Provenienz:
- Sammlung von Guido Reuge († 1994), Sainte-Croix, Waadt, Schweiz
- Privatsammlung, Schweiz
Literatur:
Kerman-Bailly, Sharon, & Bailly, Christian, "Oiseaux de Bonheur, Tabatières et Automates", Genève, Antiquorum Editions, 2001, S. 197-198.
Zustand:
Das Objekt und seine verschiedenen Mechanismen wurden 2015 gereinigt. Der beschädigte Schmetterling nahm seine Position über dem Brunnen wieder ein.
Aufgrund des monumentalen Designs und der technischen Konstruktionsfertigkeit kann man davon ausgehen, dass dieses Werk für eine der Weltausstellungen konzipiert war.
Dieser Singvogelautomat stammt aus der Zeit zwischen 1780 und 1840 und ist ein typisches Beispiel für die Automatenherstellung in Genf. Er ist das Ergebnis einer Gemeinschaftsarbeit der besten Kunsthandwerker und Uhrmacher seiner Zeit: Das Musikspielwerk stammt von Charles-Frederic Nardin, der Käfig wohl von Courvoisier & Cie. und der Singvogelmechanismus, mit den von Ast zu Ast springenden Vögeln, von Jean-David Maillardet. Fertig montiert, wurde es dann an Bautte & Moynier geliefert, dem damals wichtigsten Einzelhändler solcher Luxusobjekte in Genf.
Ende des 18. Jahrhunderts war die Vielfalt an Singvogelautomaten groß. Das Angebot reichte von Schnupftabakdosen, Taschenuhren, Tischuhren, Vasen, Hänge- und Tischkäfigen. Ihre Popularität stieg mit den wachsenden Handelsbeziehungen zu den chinesischen, osmanischen und russischen Märkten, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstanden waren.
Die Jaquet-Droz waren die ersten, die Vogelkäfige mit automatisierten Singvögeln schufen. Sie verwendeten kleine Flöten, um den Vogelgesang zu imitieren, was dazu führte, dass die Vögel sehr sperrig und die fertigen Singvogelautomaten dementsprechend groß waren. Mit der Erfindung des Gleitkolbens reduzierte sich die Größe und der Einbau in kleinere Objekte, wie Taschenuhren oder Dosen wurde möglich. Später kamen Stahlkämme hinzu, die eine Kombination aus Singvogelgesang und mechanischer Musik zuließen. Die bedeutendsten Produzenten dieser Zeit waren Piguet & Meylan, die ihre kleinen Wunderwerke noch zusätzlich mit Uhrenwerken versahen.
In den Jahren 1830-1840 befand sich die Produktion auf dem Höhepunkt. Mittlerweile hatte man ein Niveau von unvergleichlicher Qualität und technischer Raffinesse erreicht. Dies führte dazu, dass die Objekte wieder größer wurden und die verwendeten Materialien durch weniger kostbare ersetzt wurden. Dennoch blieben die Herstellungskosten aufgrund der komplexen und filigranen Konstruktionen weiterhin hoch, der Erwerb war nur einem ausgewählten Kundenkreis möglich. Heutzutage befinden sich die meisten dieser Kunstwerke in Museen, nur selten bekommt man die Gelegenheit eines dieser technischen Wunderwerke auf dem Kunstmarkt zu erwerben.
Bautte & Moynier
Jean-Francois Bautte (1772-1837) Bautte verlor sehr früh seine Eltern; bereits im Alter von 12 Jahren begann er seine Lehrzeit, in deren Verlauf er das Handwerk des Gehäusemachers, Guillocheurs, Uhrmachers und Juweliers erlernte. Ab 1779 arbeitete er mit dem Gehäusemacher Jacques-Dauphin Moulinié zusammen und um 1804 trat der Uhrmacher Jean-Gabriel Moynier (1772-1840) in die Firma ein. Das Unternehmen hieß nun "Moulinié, Bautte & Moynier". Um 1810 hatte die Firma 90 Angestellte und Bautte war der bedeutendste Uhrenhändler in Genf. Um 1824 verließ Moulinié das Unternehmen, blieb aber in den Händen von Bautte und Moynier, die ihre Firma nun Bautte & Moynier nannten. Als hervorragender Geschäftsmann betrieb Bautte mit allen europäischen Königshöfen Handel und wurde so zu einem der bekanntesten Uhrmacher und bedeutendsten Uhrenhändler seiner Zeit.
Jean-David Maillardet (1748-1834) galt bereits 1777 als erfahrener Uhrmacher und Automatenbauer. Er arbeitete einige Zeit in Berlin und ließ sich dann in Fontaines im Val-de-Ruz nieder. Viele Jahre erbeitete er eng mit den Courvoisiers und Jaquet-Droz zusammen. In Anerkennung seines immensen Talents traute ihm Henri-Louis Jaquet-Droz 1783 einen Teil seiner Firma an und stellte ihm eine Wohnung zu Verfügung. Deweiteren einen Schreiber und Zeichner zur Seite, was ihm ermöglichte seine eigenen Automaten zu bauen. Berichte von mehreren Ausstellungen (1804 und 1809) erwähnen die von Maillardet gebauten Vogelkäfige mit "zwei Kanarienvögeln", "die von Ast zu Ast hüpfen". Unseres Wissens war er zu dieser Zeit der einzige, der diese Art von Mechanismus schuf.
Die Firma Courvoisier & Cie, war zwischen 1811 und 1845 in La Chaux-de-Fonds tätig. Sie fertigten nur eine kleine Anzahl von Vogelkäfigen. Charakteristisch ist die Käfigverzierung und der Verwendung von Kette/Schnecke zum Antreiben des Vogelmechanismus.
Charles-Frédéric Nardin war zwischen 1806 und 1823 in La Chaux-de-Fonds als Hersteller von Musikspielwerken tätig.

schätzpreis
400.000500.000 €
Realisierter Preis
-