96. Auktion

18.11.2017

Lot 95

Hilaire Bassereau, Horloger Mécanicien de L'Empereur / Étienne-Lucien Blerzy à Paris / Frères Rochat à Genève zugeschrieben, 94 x 48 x 32 mm, 323 g, circa 1808
Museale, bedeutende, halbperlenbesetzte Goldemail Schnupftabakdose mit Singvogelautomat und eingebauter Uhr mit Viertelstundenrepetition - mit originaler, mit grünem Samt ausgeschlagener Saffianlederschatulle
Geh.: 18Kt Gold, Email und Halbperlen. Meistermarke "ELB" (Étienne-Lucien Blerzy, Paris), dritte Pariser Standardmarke für Gold 1798-1809, französischer Garantiestempel für Gold 1809-1819. Ziffbl.: Email. Uhrwerk: Brückenwerk, Zylinderhemmung, 2 Hämmer / 2 Tonfedern, dreiarmige Messingunruh. Singvogelwerk, Frères Rochat zugeschrieben: rechteckiges Messingformwerk, Kette/Schnecke, Blasebalg, acht Kurvenscheiben und eine Pfeife mit verschiebbarem Kolben für die Modulation der Melodie des Singvogels, die Kurvenscheiben rotieren vier Mal während der Melodie und verschieben sich um eine Stellung nach jeder Rotation, was eine längere Dauer der Melodie gewährleistet. Kurvengesteuerte Anhebung der Plakette und des Singvogels, Werk mit fünf Rädern, Endrad mit Exzenterbüchse zur Regulierung des Öffnens und Schließens. Der komplizierte Mechanismus gestattet eine präzise und tempogenaue Anhebung des Vogels und der Plakette.
Das rechteckige Gehäuse ist allseitig guillochiert und transluzid königsblau emailliert. Auf allen Seiten befindet sich goldenes Champlevé Emaildekor: Palmetten, Weinlaub- und Blütenranken, sowie obstgefüllte Fußschalen und eine klassische Henkelvase inmitten ovaler Kartuschen.
Die Oberseite besitzt ein zentrales Scharnier, um den Gehäusedeckel in zwei gegenüberliegende Zwillingskompartimente zu teilen: links das Fach für den Schnupftabak mit scharnierter, runder Kappe zum Abdecken der darunter liegenden Uhr, eingefasst von einer Reihe Halbperlen. Rechts der Deckel des Singvogelwerks, ebenfalls mit scharnierter, runder Kappe zum Abdecken des Singvogelautomaten mit bunt gefiedertem Vogel mit beweglichen Flügeln, Schnabel und Schwanz vor polierter, konkaver Goldplatte, welche den Vogel in seiner Spiegelung vergrößert. Vorderseite mit Schieber zum Auslösen des Automaten, Rückseite mit Schieber zum Auslösen der Viertelstundenrepetition.
Die Dose besitzt zwei symmetrisch angeordnete Deckel, von denen einer den Singvogel verbirgt und der andere die Uhr; diese Konstruktion ist ungewöhnlich und außerordentlich selten. Die kleine Dose - die ausgesprochen reich verziert ist mit perlenbesetzten Bordüren - kann den Brüdern Rochat zugeschrieben werden, die als die besten Hersteller von Singvogeldosen ihrer Zeit galten.
Eine sehr ähnlich gestaltete Dose gleicher Größe ist abgebildet auf Seite 208 in "Flights of Fancy", von Sharon und Christian Bailly. Die dort beschriebene Dose ist anscheinend unsigniert; man geht davon aus, dass die Brüder Rochat nicht direkt mit ihren chinesischen Kunden verhandelten sondern mit Handelsvertretern arbeiteten - diese bestanden oftmals darauf, dass die Stücke mit keinem anderen Namen als ihrem eigenen signiert wurden. Daher wurden für den chinesischen Markt hergestellte Dosen im Allgemeinen unsigniert geliefert.
Jean-Hilaire Bassereau (1743-1810) Horloger de l'Empereur et Roy, berühmter Pariser Uhrmacher, Student von Lepine.
Bassereau war ein ungewöhnlich vielseitiger Uhrmacher, der eine große Zahl von Luxusartikeln wie Uhren mit Carillon oder Singvogel-Uhren schuf. Einer seiner Präzisionszeitnehmer mit Wippenchronometerhemmung ist heute im Besitz des Britischen Museums. Bassereau hatte seine Werkstatt eine Zeitlang in der Rue Vivienne, wo sein Sohn sie später fortführte. Die Firma wurde schließlich nach Neuve des Petits Champs verlegt; hier übernahm nach Bassereaus Tod 1810 seine Witwe die Geschäfte. Die Firma war bis 1840 unter ihrem Namen registriert und wurde dann an Henri Dautreme verkauft. Dautreme blieb bis 1890 in Neuve des Petits Champs.
Quelle: "Watchmakers and Clockmakers of the World", G.H. Baillie Vol. I, Edinburgh/London, 1947, S. 18.
Viele Werke Bassereaus befinden sich in bedeutenden Museen und Sammlungen:
- Eine Musikuhr mit Carillon war Bestandteil der Sandberg Collection und wurde 2001 bei Antiquorum für CHF 284.000 verkauft (Lot 279).
- Eine Uhr mit Singvogel, ehemals Sophia Lopez Suasso-de Bruyn (1816-1890) Collection, befindet sich heute im Stedelyk Museum in Amsterdam.
- Ein großer, diamantbesetzter Goldemail Schmetterling mit Viertelrepetition auf Glocke, signiert Hre. Bassereau Pl. Royal befindet sich heute in einer Privatsammlung
- Ein Chronometer befindet sich heute im Britischen Mueum (Ilbert Collection)
Étienne-Lucien Blerzy war ein Verwandter des berühmten Golddosenmachers Joseph-Etienne Blerzy. Étienne-Lucien selbst arbeitete mit Napoleons Hofuhrmacher Bernard-Armand Marguerite an der Herstellung einiger Dosen für den Kaiser. Es ist bekannt, dass Marguerite zwischen März und August 1806 einen Auftrag über 100 Golddosen für eine Gesamtsumme von 380.688 Francs erhielt; die Dosen sollten reich verziert werden mit Diamanten, Initialen und Portraitmalereien.
Die Dosen Étienne-Lucien Blerzys werden auch heute noch hoch gehandelt: Im Juni 2015 erzielte eine goldene Präsentations- Schnupftabakdose mit dem Initial Napoleons bei Christie's in London GBP 110.500 (Lot 251). Im Mai 2016 eine weitere Dose mit dem Monogram Karls XIII von Schweden bei Christie's GBP 52.500 (Lot 16). Eine ovale Dose mit Perlenbesatz hat das Victoria & Albert Museum in ihrem Bestand (ehemals Farquhar Matheson Collection).
Frères Rochat, die Brüder Ami Napoleon und Louis Rochat, arbeiteten zwischen 1810 und 1835 in der Rue de Countenance 45 in Genf. Sie waren von ihrem Vater Pierre Rochat in der familieneigenen Werkstatt in Chez Meilland au Brassus in der Schweizer Region Vallee de Joux ausgebildet worden. Die Brüder arbeiteten anfangs für Jaquet-Droz und Leschot; nachdem sie ihr Vermögen in Immobilienspekulationen verloren hatten, zogen sie 1815 nach Genf und kamen dort erneut zu Wohlstand, indem sie diese kleinen Wunderwerke der Mechanik herstellten. Sie wurden von Kennern in höchstem Maße geschätzt und an die wichtigsten Höfe Europas verkauft. Ami Napoleon Rochat war der ältere der Brüder und spezialisierte sich auf Singvogel-Spieldosen, die den Ruf der Rochats weltweit etablierten. Das Werk war absolut perfekt, wobei besonders der Gesang, die höchste Komplikation und die Kleinheit des Mechanismus zu erwähnen sind - der Vogel öffnet seinen Schnabel und dreht den Kopf während er singt.

schätzpreis
250.000350.000 €
Realisierter Preis
-