104. Auktion

22.5.2021

Lot 28

George Graham

Bedeutender, musealer Präzisionsregulator mit Messing/Stahl-Rostpendel und Datumsanzeige - der vierte von Graham gebaute Regulator mit Monatsgang.

Verkauft

schätzpreis
35.00050.000 €
Realisierter Preis
43.800 €
Merkmale
Gehäuse
Eiche.
Zifferblatt
Regulatorzifferblatt mit Ausschnitt für digitale Stundenanzeige, versilbert, verschließbare Öffnung für den "bolt and shutter"-Mechanismus.
Werk
Sechseckiges Messing-Vollplatinenwerk, nummeriert, Graham-Hemmung, Messingpendellinse, Schneidenlagerung, Aufzugstopvorrichtung.
Maße1875 mm
Circa1737
LandEnglisch


George Graham (1673-1751) ist als Fertiger von anspruchsvollen Uhren bekannt, nicht so sehr, dass er auch ein exzellenter Hersteller von mathematischen und astronomischen Instrumenten war. Graham war auch ein guter astronomischer Beobachter; zwei Merkurdurchgänge, mehrere Finsternisbeobachtungen und Sternentdeckungen verdanken wir ihm. 1725 entwickelte und baute er für Halley einen großen Mauerquadranten im Königlichen Observatorium in Greenwich und ermöglichte damit zwei neue Bewegungen in den Fixsternen zu entdecken. Außer mehreren von ihm verfertigten Quadranten hat Graham sich besonders durch seine großen Zenitsektoren einen Namen in der Geschichte erworben. Graham lieferte auch den Franzosen astronomische Instrumente, die sie im Norden Frankreichs für Beobachtungen nutzten, um die Gestalt der Erde besser beurteilen zu können. Diese Instrumente waren prototypmäßige Beispiele derartiger Techniken und England wurde somit das Zentrum für die Herstellung von astronomischen und anderen Instrumente für den Rest des achtzehnten Jahrhunderts. So war Graham in Europa für seine wissenschaftlichen Instrumente viel bekannter als für seine Uhren. 1720 wurde er Mitglied (Fellow) der Royal Society, wo er auch Vorlesungen über seine verschiedenen Erfindungen gab.
Graham entwickelte auch die entscheidenden technischen Grundlagen für Präzisionsuhren, die andere große britischen Uhrmacher, wie Thomas Mudge, John Arnold, John Ellicott und Thomas Earnshaw nutzten und weiter verbesserten. Bevor Graham sich dem Präzisionsuhrenbau zuwandte, konnten Regulatoren aufgrund des fehlenden Wissens auf dem Gebiet "Genauigkeit" nur unzureichend gefertigt werden. Graham nutze alle existierenden Erkenntnisse und schuf mit seinen neuen Überlegungen zur Präzisionsuhrmacherei eine einheitliche und perfekte Version eines Regulators, der besonders durch das einfache und schnell abzulesende Regulatorzifferblatt, das schlichte, aber sehr elegante Gehäuse und das hochqualitätsvolle Werk bekannt wurde. Eine einfache und klare Konstruktion, die dennoch damit die am weitesten fortgeschrittene ihrer Ära und darüber hinaus war. Und reflektierte somit all das, wofür "Honest" (der Ehrenwerte) George Graham mit seiner uhrmacherischen Arbeit stand. Regulatoren in einfachen Eichen-Gehäusen wurden meistens für den Arbeitseinsatz in Observatorien gefertigt. Sie hatten überwiegend eine Gangdauer von einem Monat, was den Käufer aufgrund des komplizierteren Werkes – ein Rad mehr – einige Guineen zusätzlich kostete. Die Werke hatten massive hochrechteckige Messingplatinen mit oben abgeschrägten Ecken, sechs schwere verriegelte Baluster-Pfeiler, bolt and shutter-Gegengesperr, stop work (Aufzugsstopp) und ein verschraubtes quadratisches 10 – 10,5 Zoll [Inch]-Zifferblatt, normalerweise mit einem nach oben gebogenen Ausschnitt für die Stunden, jeder der vier Zifferblatt‐Füße wurde üblicherweise mit drei Schrauben auf der Vorderplatine befestigt. Das von Graham konzipierte Regulatorwerk war über 50 Jahre die Grundkonstruktion für derartige Uhren und wurde auch noch anfangs von John Arnold unverändert genutzt.
Graham hat somit als Erster Präzisionspendeluhren (astronomische Standuhren), sogenannte (Stand)Regulatoren, entwickelt und gefertigt, die seinerzeit in vielen europäischen Observatorien zum Einsatz kamen. Insbesondere dem Königlichen Observatorium in Greenwich, das als erste zwei PPU in den Jahren 1725 und eine 1750 erwarb.
Die Recherchen zu astronomischen Standuhren von Graham ergaben, dass im Anschluss an die erste Lieferung der Uhren "Graham 1" = No. 621 und "Graham 2" = No. 675 im Jahr 1725 für die Königliche Sternwarte in Greenwich drei weitere Uhren nach Wien geliefert wurden. Eine um 1737 und eine um 1740 an die Privatsternwarte des Wiener Hofmathematikers Johann Jakob Marioni (1676–1755) und eine dritte 1738 an die neue Jesuiten-Sternwarte in Wien. Die Begeisterung von Marinoni für die exakte Zeitmessung führte nicht nur zu einer hervorragenden Ausstattung der Wiener Sternwarten, sondern 1745 auch zu einer fast 300 Seiten starken Veröffentlichung mit dem Titel "De astronomica specula domestica et organico apparatu astronomico", in der er die Ausstattung seiner Sternwarte in bemerkenswert detaillierten Stichen darstellt.
Andere Sternwarten in Europa, wie beispielsweise Uppsala und Paris, wurden erst ab 1740 mit Graham-Regulatoren ausgestattet. Insgesamt sind nur etwa 10 von Graham signierte astronomische Monats-Regulatoren bekannt, davon sind nur sehr wenige erhalten, u.a. die No. 756.
In den Annalen des Jahres 1738 der Jesuiten-Sternwarte wird erwähnt: "An neuen Einrichtungsgegenständen werden noch aufgezählt ein Newton'sches Fernrohr von 5 Fuß Länge und eine sehr genaue Pendeluhr aus der Werkstätte des berühmten englischen Mechanikers Graham, von diesem selber in London geprüft. Beide zusammen kosteten 370 rheinische Taler." So konnte die Uhr auch bei den ersten meteorologischen Beobachtungen im Jahr 1738 genutzt werden. In späteren Annalen wird bestätigend erwähnt, dass sich in der Jesuiten-Sternwarte - parallel zu den beiden Graham-Uhren in der Marinoni-Sternwarte - auch seit etwa 1738 ein Graham-Regulator ohne Kompensationspendel befand, der erst später mit einem Rostkompensationspendel ausgestattet wurde.
Franz Xaver Freiherr von Zach, Direktor der Seeberg-Sternwarte in Gotha und Herausgeber der Zeitschrift Monatliche Correspondenz berichtet darin 1801: "[…] Als P. Liesganig [der Direktor der Jesuiten-Sternwarte] im J. 1772 von der Regierung den Auftrag erhielt, eine Karte von Galizien und Lodomerien zu verfertigen, ließ er mehrere astronomische Instrumente von der ehemaligen Sternwarte des Wiener Jesuiten-Collegiums nach Lemberg schaffen, wo er eine neue Sternwarte einzurichten Willens war. [...] Von Uhren brachte Liesganig mehrere aus Wien mit, eine Graham'sche [es gab nur eine in der Jesuiten-Sternwarte], an welche er einen rostförmigen Compensations-Pendel hatte anbringen lassen; eine von Vötter, und noch andere in den Wiener Jesuiten-Collegium verfertigte. Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, so war bey dem physikalischen Cabinette auch eine Le Paute'sche, welche die Secunde durch einen Glockenschlag anzeigte [Durchgangsuhr]"
Nach Auflösung des Jesuitenordens wurde die Sternwarte Lemberg außer Betrieb genommen und so schrieb von Zach kurz darauf von einem Besuch in Lemberg "[...] Auch fehlt es nicht an astronomischen Pendel-Uhren, worunter eine schöne Englische von Graham; allein ihr Gang wird nicht beobachtet, und sie dienen zu gar keinem astronomischen Gebrauche. Diese Uhren sind unter den verschiedenen Professoren zerstreuet, und dienen nur zur Zierde ihrer Zimmer. [...] Da also [am 16.09.1801] noch so viele gute astronomische Instrumente und Uhren vorhanden sind: so ist es jammerschade, daß diese 'so ungebraucht' und unbenutzt in Kisten und Kasten verrosten, und von Grünspan aufgezehrt werden, [...]"
Ein Glücksfall für die Forschung - und speziell für die Graham-Uhr Nr. 756. Denn genau diese ist es, die im Jahre 1738 an die Wiener Jesuitensternwarte geliefert wurde. In Marionis Buch von 1745 finden sich mit der seltenen Genauigkeit von Konstruktionszeichnungen eine der Wiener Graham-Uhren dargestellt. Es gibt hervorragende Darstellungen des Werkes ohne Zifferblatt von allen Seiten, selbst der Aufstellungsort mit seinem Umfeld und auch das vollständige Gehäuse mit Bemaßung. Auch ist hier zu erkennen, dass damals die Nutzung eines Pendels ohne Kompensation und eine geschlossen Türe üblich war. So auch ursprünglich bei der Nr. 756. Die Originalität zeigen dennoch die geprägten Nummern "756" im Türfalz.
Quelle (und freundliche Unterstützung): Jürgen Ermert: Band 1 der Buchreihe "Präzisionspendeluhren in Deutschland von 1730 bis 1940, Observatorien, Astronomen, Zeitdienststellen und ihre Uhren"


George Graham wird heute bisweilen als der berühmteste Uhrmacher der Geschichte bezeichnet. Seine Bedeutung als Uhrmacher, aber auch als Hersteller von wissenschaftlichen Instrumenten, wurde jedoch auch zu seinen Lebzeiten bereits erkannt. James Bradley (1693-1762), ein englischer Geistlicher und Astronom, schreibt 1748 in einem Brief: "Ich weiss jedoch, dass - falls meine eigenen Bemühungen in irgendeiner Weise zur Weiterentwicklung der Astronomie beigetragen haben – dies hauptsächlich den Ratschlägen und der Unterstützung zu verdanken ist, die ich von unserem geschätzten Mitglied Mr. George Graham erhalten habe, dessen großes Können und Urteilsvermögen in der Mechanik zusammen mit lückenlosen und praktischen Kenntnissen bei der Benutzung von astronomischen Werkzeugen ihn dazu befähigen, das Thema zu verstehen und zu bearbeiten." ("A letter to the Right Honourable George Early of Macclesfield concerning an Apparent Motion Observed in Some of the Fixed Stars." Philosophical Transactions, Vol. 45.).