104. Auktion

22.5.2021

Lot 27

Fowler & Denkel in Friesenhagen
"Franklin / Kinzing"

Bodenstanduhr signiert Fowler & Denkel in Friesenhagen mit einem 4-Stundenzifferblatt nach Benjamin Franklin und Zeigerverstellmechanismus nach Peter Kinzing Neuwied, mit ewigem Kalender und einem neunstäbigen Kompensationspendel

schätzpreis
15.00025.000 €
Realisierter Preis
-
Merkmale
Gehäuse
Wurzelholzfurnier.
Zifferblatt
Versilbert.
Werk
Rechteckiges Messing-Vollplatinenwerk, Scherenhemmung.
Maße2130 mm
Circa1992
LandGerman


Diese Uhr entstand als eine Rekonstruktion in Anlehnung an die obeliskförmigen Bodenstanduhr Regulatoren von David Roentgen und Peter Kinzing in Neuwied mit einigen eigenen zusätzlichen Funktionen, die stilistisch zu der Uhr passen. Die Dimensionen des Zifferblatts, des eigenartigen Zeigerwerks, des Räderwerks, der Scherenhemmung und des Pendels entsprechen denjenigen der Uhren, die Kinzing um 1785-1790 in Neuwied baute und meistens in Gehäusen von David Roentgen geliefert wurden. Die Anzeige des Wochentags und Datums mit ewigem Kalender sind bis jetzt in Franklin- Uhren von Kinzing nicht bekannt, obwohl der Zeitgenosse Jacob Klug in Mainz in Franklin-Uhren mit Datumsanzeige, allerdings nicht mit ewigem Kalender baute. Diese Art ewiger Kalender hat auf dem Datumsrad ein konzentrisches Rad mit 48 Zähnen für die Monate eines vierjährigen Zyklus zwischen Schaltjahren und ein quasi sich nach Monatslänge entsprechend verlängernder Hebel. Das System war in deutschsprachigen Ländern während der 2. Hälfte des 18. sehr verbreitet (z.B. in Uhren von Johann, und Weidenheimer in Mainz, Steib, und Pfeffer in Würzburg, u.v.a.). Obwohl von Kinzing keine Uhren mit dem System bis jetzt bekannt sind, wurde es von Pillgrim in Kaub, Schwiegersohn von Kinzing, in einer Tischuhr verwendet, sowie von dem kurfürstlichen Trierer Hofuhrmacher Jean Pull in Ehrenbreitstein, beide aus der unmittelbaren Gegend, verwendet, und ist sicherlich den Neuwieder Uhrmachern geläufig gewesen.
Der Zeigerverstellmechanismus, der die Position des kleinen Stundenzeigers in dem Ausschnitt des großen Minutenzeigers steuert, erzeugt mittels einer Kurvenscheibe eine lineare Bewegung des kleinen Zeigers für die Stundenidentifikation. Die Kurvenscheibe befindet sich auf einem Zackenrad, das auf einer Platte befestigt ist, die hinter dem Zifferblatt fest mit dem großen Zeiger rotiert. Das Zackenrad wird alle 4 Stunden von einem feststehenden Stift auf der Vorderplatine 2 Stufen weitergeschaltet und somit auch die Kurvenscheibe, die 2 Stifte auf einer ebenfalls auf der Platte gelagerte Schiene vorschieben, die in Verbindung mit dem kleinen Stundenzeiger stehen. Die Kurvenscheibe ist so geformt, dass der kleine Zeiger and die Schiene nach dreimaligem Umlauf des großen Zeigers in die Ausgangsposition um 12.00 zurückfällt. Durch den Einsatz zweier Miniaturrollen auf den Stiften wurde versucht die Gleitreibung durch Rollreibung zu verbessern.
Die Dimensionen eines originalen Pendels von einer Kinzing Franklin Uhr wurden nachgerechnet, um festzustellen, ob sich tatsächlich die temperaturbedingte Längenveränderungen der Stäbe gegenseitig ausgleichen. Das Pendel entspricht in seiner Bauweise einem zeitgenössischen französischen Kompensationspendel erster Güte wie von Berthoud oder Lepaute verwendet.
Die ungewöhnliche Ausführung der sogenannten Scherenhemmung von Kinzing wurde genau rekonstruiert. Der lange Arm, der unten die Hebeflächen der Hemmung trägt, ist ganz oben und das Hemmungsrad unten im Werk gelagert. Typisch auch für Kinzing wurde das Stiftenrad aus vollem Messing angefertigt. Normalerweise, z.B. in französischen Uhren mit Stiftenrädern, besteht das Stiftenrad aus einer Scheibe mit eingesetzten Stiften. Die Herstellung eines Rads aus vollem Messing ist gar nicht aufwendig und vielleicht genauer.
Die strenge, geradlinige Gestaltung des obeliskförmigen Gehäuses von Roentgen war für die Zeit um 1785 bahnbrechend und bestechend und durch die Auswahl edles Wurzelholzfurniers und vergoldeten Messingapplikationen wurde versucht, diesen Eindruck zu bewahren.
Heute sind 14 mit Roentgen & Kinzing signierte Franklin Uhren sowie einige entweder unsignierte oder mit anderen Namen versehene Uhren dokumentiert. Obwohl einige wenige andere Typen Franklin-Uhren aus der 2. Hälfte des 18. und Anfang des 19. Jh. bekannt sind, sind wohl die Neuwieder Franklin-Uhren die einzigen, die jemals in Serie gebaut wurden. Um 1780 –1785 etablierte sich Roentgen in Paris als Ébeniste in den höchsten Kreisen zu einer Zeit, als Benjamin Franklin sich auch hier aufhielt und eine hoch angesehene Persönlichkeit war. Franklin war als Staatsmann, Naturwissenschaftler und Erfinder auch in Deutschland berühmt. Die von ihm entworfene Uhr wurde in den Mechanical Exercises von James Ferguson 1773 veröffentlicht, und diese Schriften wurden in gebildeten und interessierten europäischen Kreisen bald weit verbreitet; vielleicht gehörte der damalige Graf zu Wied auch dazu. Vermutlich entwickelte Roentgen und Kinzing diese Uhrenart (mit bedeutenden Raffinessen) für eine wohlhabende Klientel, die damit ihre Bekanntschaft mit den Ideen Franklins zeigen konnte. Allerdings haben die Neuwieder Franklins ursprüngliches Konzept einer einfachen Uhr in eine Präzisionspendeluhr mit ruhender Hemmung, einem Kompensationspendel und einem zusätzlichen Zeigermechanismus in einem hochmodernen Gehäuse im klassizistischen Stil verwandelt. Als die ersten Franklin Uhren gegen 1785 zum Verkauf fertig waren, kam Paris wegen des Staatsbankrotts und der anbahnenden Revolution für den Absatz der teuren Produkte von Roentgen & Kinzing nicht mehr in Frage. Roentgen suche neue Absatzmöglichkeiten in den östlichen Teilen von Deutschland, Dänemark und Russland. Seine beste Kundin wurde Zarin Catharina die Große. Sicherlich sind auch Franklin Uhren nach Russland exportiert worden, wie die Präsenz einer solchen in Palast-Museum Pawlowsk belegt. Auch in deutschen Fürstenhäusern können diese Franklin Uhren nachgewiesen werden: u.a. Württemberg, Sachsen-Coburg, Sachsen-Meiningen, Mecklenburg, Wintzingerode.