92. Auktion

14.11.2015

Lot 220

Michael Hoffrichter, Augustae Vindelicorum (Augsburg), Durchmesser 36 mm, 48 g, circa 1680
Museale, bedeutende, einzeigrige Gold und Email Anhänge-Spindeltaschenuhr bemalt mit dem Portrait einer Dame
Geh.: 20Kt Gold und polychromes Email. Auf der Rückseite im Punktierstil gemaltes Portrait einer zeitgenössisch gekleideten Dame im "spanisch anmutenden Kostüm", mit rotem, bordürenverziertem Seidenrock, einem braunen, mit blauen Schleifen verzierten Oberteil und brauner Samtschleppe mit grünem Innenfutter. Sie trägt eine weiße Spitzenhaube mit blauer Schleife und Schleier, Perlohrringe und lange Handschuhe. Ihr sehr tief geschnittenes Dekolleté wird geschmückt von einer Perlenkette. Mit ihrer rechten Hand hält sie einen ausgebreiteten Fächer empor, mit ihrer linken auf Hüfthöhe eine schwarze Theatermaske. Sie sitzt in einem Park neben einem Piedestal, auf dem eine Schale mit Blumen steht. Im Hintergrund eine Parklandschaft mit Baumallee. Der Gehäuserand ist durch Sommerblütenbouquets unterteilt in vier Kartuschen mit ländlichen Szenen: Reiter, Wandersmann und zwei Schäferdarstellungen. Im Innendeckel polychrome Darstellung der Venus in einem von Tauben gezogenen Wagen, begleitet von ihrem Sohn Amor mit Liebespfeil, der mit seiner rechten Hand die Zügel hält, nach einer Gravur des niederländischen Malers, Radierers und Mezzotintostechers Gérard de Lairesse (1641-1711) von circa 1675. Ziffbl.: Gold, Champlevé, eingelegte radiale röm. Zahlen, Halbstunden-Einteilung; im Zentrum Blumenranken, gebläuter Stahlzeiger. Werk: Vollplatinenwerk, Schlüsselaufzug, vergoldet, signiert, Schnecke mit früher Kette, aufgesetztes Wurmrad, Balusterpfeiler, vier-Räder-Werk mit Spindelhemmung und Stahlunrast ohne Spirale, durchbrochen gearbeiteter, silberner Unruhkloben mit Ovalmuster, graviert mit Ranken, Schneckenrad-Konstruktion mit durchbrochen gearbeiteten gebläuten Stahlbügeln und gravierter silberner Stellscheibe.
Bei dieser Uhr handelt es sich um eine Augsburger Arbeit. Nicht nur das Uhrwerk stammt daher, sondern auch die fein ausgeführte Malerei. Obwohl der Künstler, der diese Uhr bemalte uns nicht bekannt ist, repräsentiert sie doch die hohe Kunst der deutschen Emailmalerei Ende des 17. Jahrhunderts. In einer neueren Abhandlung über Augsburger und Genfer Emailmalereien des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts ("Les arts du feu à Augsbourg et à Genève 1680-1710") schreibt Hans Boeckh, ehemaliger Kurator des Patek Philippe Museums in Genf, dass es neben den großen Emailmalerei Hochburgen, wie Genf, Blois oder Paris noch ein weiteres Zentrum in Augsburg gab und man durchaus von einer eigenen "Augsburger Schule" sprechen kann. Beispiele hierfür finden sich allerdings höchst selten, nicht mehr als eine Handvoll Uhren haben überlebt. Die in Augsburg verwendete Ikonographie unterscheidet sich jedoch dahingehend, dass man in Genf, Blois oder Paris auf Vorlagen wichtiger Gemälde Alter Meister zurückgriff. Meist waren es Szenen mythologischen oder biblischen Inhalts. Portraits wichtiger Persönlichkeiten hatten ihre Vorlagen ebenfalls in Stichen oder Gemälden berühmter Maler des 17./18. Jahrhunderts (siehe Lot Nr. 222).
Bei dem hier vorliegenden Portrait einer Dame ist dies nicht der Fall und man kann nur aufgrund der verwendeten Details vermuten, wer die dargestellte Person ist. Bei diesem Sujet handelt es sich nicht um eine "erzählende Geschichte". Für eine sinnvolle Aussage müssen übergreifende Sinnbezüge mit einbezogen werden. Somit entfällt auf die Konteremaillierung im Gehäuse ein ikonographisch erheblicher Teil: Im Inneren der Uhr ist die nackte Venus abgebildet, die personifizierte Gestalt des erotischen Verlangens. Sie sitzt in einem Wagen, der von zwei Tauben gezogen wird. Die Zügel hält ihr Sohn Amor, der mit seinem Liebespfeil die Personifikation des "Sichverliebens" darstellt. Sicherlich war diese Uhr als Auftragsarbeit für einen wichtigen Kunden gemacht worden und der Auftraggeber hat auf diese Weise seiner Geliebten gedacht.
Auf den ersten Blick erscheint die Dame auf der Gehäuserückseite in einem spanisch anmutenden Gewand. Sie hält einen Fächer und eine Maske in ihren Händen, Gegenstände, die einen attributiven Bezug zur Person zeigen sollen. Der Fächer galt bis ins 19. Jahrhundert als Luxusgegenstand der vornehmen Welt und somit als Zeichen der Herrscherwürde, wobei ein Faltfächer als Sinnbild für die Unbeständigkeit der Frauen gilt. Die Maske steht gleichermaßen für Falschheit, aber auch für die Kunst der Schauspielerei und das leichte Leben.
Die Dame trägt auf den ersten Blick kostbare Kleidung, wie Seide, Samt und Perlen, die Schleifen an ihrem Kleid sind von royalem blau - Details, die auf eine Person höheren Standes hindeuten. Durch diese Zusammenstellung und die gekünstelte Haltung wirkt die Erscheinung jedoch eher wie eine Kostümierung oder Maskerade. Auffallend auch das sehr tief ausgeschnittene, fast frivol wirkende Dekolleté. Diese Details lassen den Schluss zu, dass es sich bei der Portraitierten um eine Schauspielerin bzw. eine Mätresse handeln könnte.
Eine der berühmtesten Schauspielerinnen zu dieser Zeit war Margaret Hughes (1630-1719). Sie gilt als die erste professionelle Schauspielerin Englands. Desweiteren wurde sie als geliebte Mätresse des Prinzen Ruprecht von der Pfalz (1619-1682) bekannt.
Margaret Hughes war berühmt für ihre Reize als Schauspielerin; Tagebuchschreiber Samuel Pepys betrachtete sie als "eine mächtige hübsche Frau" und sie galt als "eine große Schönheit, mit dunklen lockigen Haaren, einem schmalen Gesicht und besonders schönen Beinen".
In den späten 1660er Jahren verliebte sich Prinz Ruprecht von der Pfalz in sie. Prinz Ruprecht war einer der dienstältesten Mitglieder der königlichen Familie am Hof und Hughes erfuhr bald die Vorzüge ihrer Beziehung zu Prinz Ruprecht; 1669 wurde sie Mitglied der King's Company.
Quellen: Hans Boeckh, "Les arts du feu à Augsbourg et à Genève 1680-1710", Genf 1996.
Hans Boeckh, "Emailmalerei auf Genfer Taschenuhren vom 17. bis zum beginnenden 19. Jahrhundert", Dissertation, Freiburg 1982.
Wikipedia "Die freie Enzyklopädie" - "Margaret Hughes", https://en.wikipedia.org/wiki/Margaret_Hughes, Stand 09.10.2015.
Ruprecht Pfalzgraf vom Rhein, Herzog von Bayern, genannt "der Kavalier" (engl. Rupert the Cavalier), war Prinz von der Pfalz aus dem Hause der Wittelsbacher sowie seit 1644 Duke of Cumberland und Earl of Holderness. Er war Generalissimus aller englischen Armeen und leitete später als Lord High Admiral die königliche Flotte.
Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges ging er 1652 nach Deutschland zurück. Er ließ sich in Mainz nieder und widmete sich einige Jahre seinen naturwissenschaftlichen Forschungen und der Kunst.
Nach der Restauration des Stuart-Königtums 1660 trat Ruprecht erneut in englische Dienste. Er wurde Privatsekretär König Karls II. und kümmerte sich besonders um Marineangelegenheiten. Er hatte verschiedene Marinekommandos inne, kämpfte u.a. auch gegen die Holländer, wurde 1672 zum Admiral ernannt und war von 1673 bis 1679 als Nachfolger des Königs Lord High Admiral. Ruprecht war auch der erste Gouverneur der 1670 gegründeten Hudson’s Bay Company, die so erfolgreich wurde, dass sie bald ein Monopol auf den gesamten Pelzhandel in Kanada haben sollte. Ihr Territorium, das fast das gesamte heutige Kanada umfasste, trug ihm zu Ehren den Namen Ruperts Land.
Ruprecht starb 1682 unverheiratet, hinterließ aber zwei Kinder, einen Sohn und mit Maragrete Hughes eine gemeinsame Tochter.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Ruprecht_von_der_Pfalz,_Duke_of_Cumberland, Stand 09.10.2015.
Michael Hof(f)richter, Augsburg
Hofrichter wurde circa 1647 in Oberpeterswalde in Schlesien geboren. Er erlangte 1670 die Meisterwürde und starb um 1702.
Quelle: Jürgen Abeler, "Meister der Uhrmacherkunst", 2. Auflage, Wuppertal 2010, S. 252.
Gérard (de) Lairesse (1641-1711) war ein niederländischer Maler und Kunsttheoretiker. Er war vielfach begabt, sein Talent lag in der Musik, Gedichtkunst und Theater. Lairesse wurde in Liège geboren und war der zweite Sohn des Malers Renier de Lairesse (1597-1667). Er studierte Kunst bei seinem Vater und ab 1655 bei Bertholet Flemalle. Er arbeitete in Köln und 1660 in Aix-la-Chapelle (Distrikt Aachen) für Herzog Maximilian Heinrich von Bayern (1621-1688), aus dem Hause Wittelsbach, ab 1650 Erzbischof und Kurfürst von Köln, Bischof von Hildesheim und Lüttich, und war somit im deutschsprachigen Raum bekannt.
Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Gerard_de_Lairesse, Stand 11.10.2015.
Im Patek Philippe Museum in Genf befindet sich eine herzförmige Augsburger Goldemail Uhr von dem gleichem Augsburger Emailmaler. Das Uhrwerk wurde jedoch von dem Augsburger Uhrmacher Johann Martin angefertigt.

Verkauft

schätzpreis
60.00080.000 €
Realisierter Preis
99.200 €